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Neurowissenschaften

Wie das Gehirn uns aus Tagträumen zurückholt

Neuronaler Mechanismus sorgt für blitzschnellen Fokus

Symbolbild Träumen: Kopf einer Frau, der zur Hälfte von Wolken vernebelt ist
Zwei neuronale Mechanismen im Hippocampus sorgen dafür, dass unsere Aufmerksamkeit abwechselnd abdriftet und zurück zur Realität springt. © Victor Tongdee / iStock

Neuronaler Wecker: Wenn wir tagträumen, sind wir mit unseren Gedanken weit weg. Mit welchem Trick unser Gehirn uns wieder in die Realität zurückholt, haben Forschende nun herausgefunden. Demnach sorgt ein bestimmtes Hirnareal dafür, dass wir blitzschnell wieder aufmerksam werden und uns auf unsere Umgebung konzentrieren. Zugleich hilft dieses Hirnareal bei der Bildung von Erinnerungen. Doch was, wenn dieser “Wecker” gestört ist?

Während wir träumen – sei es bei Tag oder Nacht – durchleben wir vergangene Ereignisse noch einmal. Unser Gehirn spielt die Szenen vor unserem inneren Auge erneut ab. Dabei generieren Neuronen im Hippocampus sogenannte „Sharp-Wave-Ripples“ – bis zu 200 Millisekunden andauernde, synchrone Nervensignale, die unsere Gedanken mit unseren Erinnerungen verknüpfen, wie aus früheren Studien bekannt ist.

Wozu dienen die Nervensignale im Gyrus dentatus?

Neurowissenschaftler um Jordan Farrell von der Stanford University haben nun ein zweites, bislang nur wenig erforschtes Signalmuster in unserem Gehirn untersucht, das die „Sharp-Wave-Ripples“ beim Träumen häufig unterbricht. Bei diesem Phänomen feuern die Nervenzellen in einem Teil des Hippocampus, dem Gyrus dentatus, synchronisierte Signale, die etwa 50 Millisekunden andauern. Aus früheren Studien ist bekannt, dass der Gyrus dentatus als Eingang zum Gedächtniszentrum sowie als „Türsteher“ für eingehende Informationen fungiert.

Warum die Neuronen des Gyrus dentatus allerdings auch beim Tagträumen feuern und was das bewirkt, haben die Forschenden um Farrell nun anhand von Mäusen genauer untersucht. Dafür nahmen sie die Hirnsignale der Tiere auf, während diese tagträumten. Mit gezielten Tönen oder Luftstößen unterbrachen die Neurowissenschaftler diese Ruhephasen.

Ein Wecker fürs Tagträumen

Dabei zeigte sich: Diese Signalmuster im Gyrus dentatus traten in den Mäusen immer dann auf, während ihr Gehirn „offline“ war und dann plötzliche Ereignisse das Gehirn stimulierten. Die Tiere reagierten dann auf die Töne und Luftstöße mit Kopf- und Augenbewegungen. Farrell und seine Kollegen schließen daraus, dass diese Nervensignale den Mäusen und auch uns Menschen helfen, das Tagträumen abzubrechen und direkt wieder neue Informationen zu verarbeiten oder sich in der Umgebung zu orientieren.

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Die Signale des Gyrus dentatus wirken demnach wie eine Art Wecker, der das Tagträumen unterbricht und uns hilft, die Welt um uns herum wieder aufmerksam wahrzunehmen, schließen Farrell und seine Kollegen. „Wir haben einen Mechanismus im Gehirn gefunden, um Perioden des Abschweifens der Gedanken zu unterbrechen und die ‚kognitive Landkarte‘ wieder auf die Realität auszurichten“, sagt Farrell.

Wechsel zweier Gegenspieler

Demnach gibt es zwei neurologische Mechanismen im Hippocampus, die unsere Aufmerksamkeit abwechselnd abdriften lassen und wieder auf Kurs bringen. „Das Gehirn wechselt zwischen diesen beiden Zuständen“, erklärt Farrall. Diese und frühere Versuche legen insgesamt nahe, dass sich diese beiden Strategien gegenseitig ergänzen. Während die „Sharp-Wave-Ripples“ durch das Tagträumen unsere Kreativität beflügeln, stellen die Signale des Gyrus dentatus sicher, dass wir keine Gefahren übersehen.

Die Signale der Hirnwindungen im Gyrus dentatus haben jedoch noch eine zweite Funktion. In den Versuchen führten sie dazu, dass die Tiere sich die plötzlichen Geräusche und Luftbewegungen merkten. Wie die Tests ergaben, mieden die Mäuse hinterher die Orte, an denen zuvor diese unerwarteten Ereignisse aufgetreten waren. Demnach hilft der Gyrus dentatus auch dabei, sich an mögliche Gefahren und Situationen zu erinnern, in denen wir uns erschrocken haben.

Gyrus dentatus könnte neurologische Störungen verursachen

Die Erkenntnisse könnten künftig auch helfen, verschiedene neurologische Störungen besser zu verstehen. Die Signale des Gyrus dentatus stehen beispielsweise im Zusammenhang mit Schizophrenie. Sie könnten aber möglicherweise auch bei Menschen mit ADHS oder PTBS eine Rolle spielen, vermuten die Forschenden. Diese Personen reagieren übermäßig stark auf Ereignisse in ihrer Umgebung oder können Vergangenes nicht vergessen. Aber auch bei Alzheimer-Patienten könnte der Gyrus dentatus verändert sein, so Farrell und seine Kollegen. Dadurch werden im Gehirn dieser Menschen möglicherweise keine neuen Erinnerungen abgelegt.

In ihren Folgestudien wollen sich die Neurowissenschaftler aber zunächst der Frage widmen, ob der Gyrus dentatus bei Epilepsie eine Rolle spielt. Bei dieser Erkrankung sind die Neuronen im Gehirn bei Anfällen überaktiv und feuern synchron. Ob daran auch der Gyrus dentatus beteiligt ist, wollen Farrell und seine Kollegen an Mäusen testen. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07192-8)

Quelle: Boston Children’s Hospital

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